von Annabell Sindorio
Gastspiel in den Kammerspielen im Schauspielhaus Bochum
LITERARISCHES QUARTETT – Bücherschau der literarischen Gesellschaft Bochum
Blick
auf die Bühne: (v.l.) Sigrid Löffler, Prof. Dr. Ralph Köhnen, Dr. Sarah
Meyer-Dietrich,
Prof. Dr. Manfred Schneider ONSüd-Bild: Annabel Sindorio |
BOCHUM. Die Literaturkritikerin
und Mitbegründerin des Literarischen Quartetts Sigrid Löffler, die
Geschäftsführerin des Friedrich-Bödecker-Kreises NRW, Dr. Sarah Meyer-Dietrich,
sowie Prof. Dr. Ralph Köhnen und Prof. Dr. Manfred Schneider vom Germanistischen
Institut der Ruhr-Universität Bochum besprachen die wichtigsten
Neuerscheinungen der Saison 2013. Im Kritik- und Gegenkritikverfahren stellte
das Literarische Quartett Romane, aber auch Neuerscheinungen aus anderen
Gattungen (Sachbücher, Kinder- und Jugendliteratur) vor. Zu Beginn der
Veranstaltung erfolgte durch Prof. Köhnen ein kurzer Nachruf auf den 2013
verstorbenen Marcel Reich-Ranicki, Mitbegründer des Literarischen Quartetts als
Talkshow im Fernsehen, Publizist und Literaturkritiker. Aufgrund der ersten
drei von insgesamt vier in der Hauptrunde vorgestellten Büchern, lässt sich ein
Trend hin zu autobiographischen Werken in der Gegenwartsliteratur ausmachen.
Allen voran die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro. Für ihr
Werk ,Wozu wollen Sie das wissen? – Elf
Geschichten aus meiner Familie‘ sowie zahlreiche andere Geschichten aus ihrer
Feder (,LiebesLeben‘) erhält die zweiundachtzig Jahre alte Schriftstellerin,
die als Chronistin des kanadischen Alltagslebens bekannt wurde, den begehrten
Preis. Auch Per Olov Enquist verleiht sich in seinem Roman ,Das Buch der
Gleichnisse‘ gehör, indem er dem Protagonisten seiner Geschichte
autobiographische Anteile zukommen lässt. Mit einem schroffen, kantigen
Schreibsstil, der jedoch enthusiastisch und humoristisch zugleich ist,
erschafft er einen verkappten Liebesroman, welcher sogar mit einer Passage
einer längeren Verführungsszene aufwarten kann. Eben diese Szene sexueller
Verführung zwischen einem Jugendlichen und einer viel älteren Frau kann hier
als ein Durchbruch des Autors gegen die ihm durch eine freikirchliche Erziehung
aufgezwungenen (nicht nur) religiösen Ansichten gesehen werden. Der dritte im Bunde,
welcher uns Einblicke in sein Seelenleben gewährt, ist der ungarisch-jüdische
Schriftsteller Imre Kertész, ein Überlebender des Holocaust. Kertész überlebte
nicht nur Ausschwitz sondern auch Buchenwald. Er schildert in seinem als
Tagebuch angelegten Werk ,Letzte Einkehr – Tagebücher 2001-2009‘ jedoch nicht
sein Unglück während des zweiten Weltkriegs, sondern die Jahre vor und nach
seinem Nobelpreis-Gewinn 2002. Kertész kämpft mit dem Ruhm, der ihm zu Teil
wurde, da er der Ansicht ist, dass er keine Sonderbehandlung verdient habe,
weil er den Holocaust überlebt hat: „Sie haben mich nicht nach Ausschwitz
geschickt, damit ich den Nobelpreis bekomme, sondern um mich umzubringen“.
Streitbar ist, ob es sich in diesem speziellen Fall um Jammern auf hohem Niveau
oder den ehrlichen Ausdruck einer rabenschwarzen Psyche handelt. Jedoch steht
das Buch als Beispiel für die Faktur des Tagebuchschreibens. In diese Riege der
Autobiographien reihen sich auch Paul Austers ,Winterjournal‘ sowie Mirko
Bonnés ,Nie mehr Nacht‘ ein. Einen weiteren, wenn auch in den letzten Jahren
bereits sehr populären Literaturtrend bietet Terezia Mora mit ,Das Ungeheuer‘,
dem zweiten Band einer Trilogie. Die Charaktere bilden eine Ober- und
Unterwelt, die auch graphisch auf den Buchseiten sichtbar ist. Auch die Kritik
an ihrem Werk teilt sich in Ober- und Unterstimmen auf. Mehrteilige Buchreihen
erfreuen sich großer Beliebtheit und bescherten bereits einigen
zeitgenössischen Schriftstellern große Verkaufszahlen und sogar Verfilmungen.
Der Jugendroman ,Stromabwärts‘ von Ursula Wiegele, der im Ruhrpott entlang der
Emscher spielt, der Tag-Nacht-Roman ,Die Sonnenposition‘ von Marion Poschmann,
die parodistische Erzählung ,So wirst du stinkreich im boomenden Asien‘ von
Mohsin Hamid sowie die beiden Sachbücher ,Die neue Welt-Literatur und ihre
großen Erzähler‘ von Sigrid Löffler und ,Transparenztraum‘ von Manfred
Schneider schafften es ebenfalls in das Gastspiel und wurden kurz vorgestellt.