Kapitel 24
Natascha war überglücklich. Am heutigen Tag hatte sie ihr Musikstudium abgeschlossen. Eine Stelle im Rundfunkorchester in München als Pianistin war ihr so gut wie sicher. Von Hardenberg hatte sie seit dem zweiten Segeltörn auf der Alster nichts mehr gehört. Einerseits schmeichelte ihr das nicht gerade, andererseits war sie froh, auf seine Avancen nicht eingegangen zu sein. Man sah ja jetzt, dass er es alles andere als ernst gemeint hatte. Am Ausgang der Feierhalle wartete Jens schon auf sie. Er musste noch ein Jahr länger hierbleiben. Er hatte nicht alle Prüfungen bestanden. Ohne ein Wort nahm er sie in den Arm. Sie konnte spüren, dass er froh und traurig zugleich war. Froh, dass sie die Prüfung mit Bravour geschafft hatte und traurig, dass sich ihre Wege ab jetzt trennen würden. Sie sagte kein Wort. Im letzten Jahr war er ihr ein verlässlicher und guter Freund gewesen, der nicht unwesentlich dazu beigetragen hatte, dass sie Hardenberg vergessen konnte. „Du weißt doch, wie sehr Du mir fehlen wirst?“ sagte er mit einer rauen Stimme, der man die runtergeschluckte Traurigkeit anhörte. „Ich weiß es, Jens, aber ich bin ja nicht aus der Welt! Auch wenn ich bald in München lebe, können wir uns sehen!“ „Ja, sicher! Ein bis zweimal im Monat!“ antwortete er bitter. Sie hielt ihn mit beiden Armen von sich. „Sei kein Kindskopf, Jens! Auch diese Zeit wird vorübergehen und wenn Du Glück hast, bekommst Du eine Stellung in meiner Nähe!“
Ihre Eltern kamen auf sie zu. Beide strahlten vor Stolz. „Na, und Du !“ Nataschas Vater schlug Jens kumpelhaft auf die Schulter. „Du lässt Dir wohl noch ein bisschen Zeit, min Jung!“ Jens lächelte gequält. „Mache ich ja nicht extra, Herr Winter, das wissen Sie doch. Hab einfach Pech gehabt!“ „Streng dich mal an, min Jung, bei mir wird bald eine Organistenstelle frei, die kannst Du gerne haben!“ „Danke, Herr Winter… Aber ich…“ Winter lachte dröhnend. Die ihnen nahe standen, drehten sich um. „Ich weiß doch, min Jung, dass dein Herz an Natascha hängt und dass du mich sitzen lassen wirst, sobald Du du dort etwas bekommst, wo sie wohnt. Ist doch klar wie Kloßbrühe!“ „Komm Papa, gehen wir nach draußen!“ sagte Natascha, der aufgefallen war, dass ihr Vater durch seine laute Stimme und sein Gelächter die Blicke der Anwesenden auf sich gezogen hatte. Ihre Mutter war es so gewohnt. Sie hatte sich mit dem Temperament ihres Mannes abgefunden. Niemand, der ihn außerhalb seines Sprengels kennenlernte, hielt ihn je für einen Pfarrer. „Dann lasst uns mal nach Hause fahren, zum Feiern,“ sagte der alte Herr und schob Natascha und Jens in seinen uralten Ford, der aus Nachkriegszeiten stammen mochte. Unterwegs ließ er auch das nächste Fettnäpfchen nicht aus: „Und? Wann gebt ihr eure Verlobung bekannt?“ Nataschas Mutter schüttelte nur mit dem Kopf. Natascha lachte. „Gar nicht, Papa, die Zeiten haben sich geändert und außerdem ist Jens nur ein sehr, sehr guter Freund!“ Frau Winter drehte sich zum Rücksitz um. Die winzige Enttäuschung in Jens’ Augen sah nur sie. Ihr tat der Junge leid. Schon so lange waren die beiden jungen Leute zusammen und doch hatte er wohl keine Chance bei Natascha. Dabei wäre er bestimmt ein guter Ehemann für sie.