Kapitel 26
Hardenberg war es nicht möglich gewesen, eine zweite Woche im Anschluss an die erste nach Hamburg zu fahren. Das Geschäft brummte und es hätte nicht vorteilhaft ausgesehen, wenn der Chef selbst nicht anwesend gewesen wäre. Viele lukrative Kunden bestanden auf einer exklusiven Behandlung, d.h. auf Betreuung durch den Chef persönlich. Aber mehr und mehr fühlte er sich wie ein Fremder im eigenen Land. Die Firma bedeutete ihm nichts mehr, seine Frau und sogar seine Tochter gingen eigentlich ihre eigenen Wege und es war nur noch eine Familie, die auf dem Papier existierte. „Wie so viele andere auch!“ versuchte er sich zu trösten, aber der schale Geschmack blieb. Ines hatte vorgeschlagen, Judith während der Teenager-Zeit bis zum 18. Lebensjahr in ein erstklassiges Internat in der Schweiz zu schicken. Hardenberg wusste, was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, das würde sie auch durchsetzen wollen. Ihm blieb nur die Zustimmung. „Arme Judith!“ dachte er noch, doch er kannte seine Tochter schlecht. Die war offensichtlich total begeistert und froh, ihrem Elternhaus entrinnen zu können. Er war nicht weiter erstaunt, hatte die Tochter sich doch immer mehr an Ines angeschlossen als an ihn. Nun, wenn es denn sein sollte, dann sollte es sein! Er nahm sich vor, Judith ein wunderschönes Abschiedsfest auf der Yacht in Monaco auszurichten. Vielleicht freute sie sich ja darüber. Als er Pläne dazu schmiedete, wie und was er seiner Tochter dort bieten könnte, waren seine Augen auf die aufgeschlagene Zeitung gefallen und an der Schlagzeile hängen geblieben. „Ehemaliges Wunderkind kommt nach München!“ Interessiert beugte er sich herunter. Was er dort las, rief die Sehnsucht nach Natascha, die er geglaubt hatte, niedergerungen zu haben, wieder in sein Herz zurück.
Dort stand, dass sie nach dem abgeschlossenen Studium zu den Philamonikern nach München gehen würde. Man wäre dort froh, solch ein großes Talent im Orchester begrüßen zu dürfen. Er atmete tief durch und richtete sich auf. Dann kam ihm blitzartig die Idee: er konnte sie ja zum Fest für seine Tochter auf die Yacht nach Monaco einladen, damit sie dort spielte. Kurz entschlossen nahm er sein Handy und wählte ihre Nummer, die sich fest in sein Gedächtnis eingebrannt hatte. Ihre Stimme ließ ihn erbeben.
Aber sie wollte ihre Zusage erst am nächsten Morgen geben. Er fieberte dem nächsten Morgen entgegen. Schon beim ersten Morgengrauen war er wach und stand auf, duschte, zog sich an und ging in den weitläufigen Park vor seinem Haus. Das Gras war voller Tautropfen, kristallklar und funkelnd hingen sie an Sträuchern und Blumen. „Wie schön und friedlich ist doch die Welt, und man selbst macht für sich daraus freiwillig die Hölle,“ dachte er. Er straffte seine Schultern. Wollte er ewig so weiterleben mit solch einem Leben voller Trug und Kälte? Er nahm sich vor, dass dies Fest in Monaco die Wende in seinem Leben sein würde. Koste es, was es wolle! Die Sonne ging gerade auf und er starrte bewundernd in das Farbenspiel des Morgenrot