Kapitel 43
Nach einer Stunde, in der er noch einen Mokka getrunken hatte, erhob er sich. Auf was wartete er noch? Weder klingelte sein Handy noch zeigte sich Natascha am Eingang des Hotels. Er bezahlte und trat aus dem Lokal. Zur gleichen Zeit sah er drüben auf der anderen Straßenseite blond gelocktes Haar in der Sonne leuchten. Er vergaß den Verkehr und begann über die Straße zu laufen, laut ihren Namen rufend. Autos hupten noch ohrenbetäubender und Reifen quietschten. Hardenberg wusste später nicht, wie er heil auf die gegenüberliegende Seite gekommen war. Plötzlich stand er vor Natascha und war außer Atem und brachte keinen Ton heraus. Auch sie sah ihn nur stumm und völlig überrascht an. „Ich steige Dir… Ihnen nicht hinterher!“ brachte er mühsam und stotternd hervor. „Es ist alles purer Zufall, ob Du es glaubst oder nicht.“ Er hatte sich wieder gefangen und reichte ihr die Hand. „Mach es gut, Natascha, und viel Erfolg heute und morgen Abend und bei Deinen weiteren Konzerten.“
Er war im Begriff zu gehen, da rief sie ihm plötzlich hinterher und ihre Stimme war wie Honig in seinen Ohren: „Ich rufe Dich in einer Stunde an, Stefan!“ Er drehte sich um und winkte ihr zu. Sie winkte zurück und… sie lächelte. Hardenbergs Herz klopfte schneller.
Natascha war auf dem Weg zu einem Termin bei einem weiteren Konzertagenten. Er wollte sie für Konzerte auch in der Türkei und in Italien anwerben. Grubers Taxi hielt vor ihr und sie stieg zu ihm in den Wagen. Es wendete und schoss in griechischer Manier davon. Sie überholten auch Hardenberg und sie bat den Fahrer zu hupen und winkte aus dem Fenster. Aber der Taxifahrer war, wie sie feststellte, des Englischen nicht mächtig und so schossen sie an Hardenberg vorbei. Gruber räusperte sich. „Hab Post für dich, Natascha!“ Er hielt ihr ein Telegramm hin. „Schätze, es wird nichts Positives sein! Soll ich es vor dir lesen?“ Sie nickte genervt. „Kann denn der Fahrer nicht langsamer fahren? Das ist ja lebensgefährlich! Sag ihm das doch mal!“ Gruber sagte etwas auf Griechisch zum Fahrer, der grinste freundlich und wirklich, er fuhr langsamer, aber nach der nächsten Ampel raste er wieder wie vorher. „Also, es geht um Jens!“ sagte Gruber. „Ist er krank oder so?“ fragte Natascha. „Nein, ich sag’s dir am besten geradeheraus, oder besser, hier lies!“
Er hielt ihr das offene Telegramm hin. Dort stand, Nataschas Augen wurden immer weiter, als sie las: „Tut mir leid, Natascha. Ich habe die Liebe meines Lebens gefunden. Sei mir nicht böse, aber wenn du zurückkommst, bin ich schon in Wien. Es war trotzdem schön mit dir. Alles Gute Jens PS: meine Adresse gebe ich dir später.“ Natascha blieb die Luft weg. Doch sie waren nun da, der Wagen hielt mit quietschenden Reifen am Bordstein. Gruber nahm der entgeisterten Natascha das Telegramm aus den Händen, steckte es in die Hemdentasche und machte die Tür auf. „Komm, Natascha, darüber nachdenken kannst du später!“ Er half ihr aus dem Wagen und führte sie zu der Agentur. Von der Verhandlung bekam Natascha kaum etwas mit. Sie sagte „ja “, wenn Gruber ihr ein Zeichen gab und ließ ihn ansonsten machen. Nach einer Stunde war alles vorbei. Gruber rief das Hotel -Taxi und los ging es, zurück zum Hotel. „Du kannst mich am Hotel Meteora absetzen, sag das dem Fahrer!“ sagte sie mit einem Male ganz entschlossen. Das Taxi wendete, ohne sich viel um den Verkehr zu scheren und fuhr hupend weiter. „Wenn ich aus Athen lebend wieder rauskomme, spende ich der Madonna eine Kerze!“ Natascha stand der Schweiß auf der Stirn. „Wenn es dich beruhigt, Athen hat eine niedrigere Unfallrate als München. Das ist statistisch erwiesen.“ Er nahm sie in den Arm. „Ich wünsche dir viel Glück im Meteora!“ flüsterte er ihr ins Ohr und schob sie aus dem stehenden Wagen heraus. Dann schoss das Taxi rücksichtslos wieder in den Verkehr. Natascha schaute ihm kopfschüttelnd hinterher. Sie zog das Handy aus der Tasche und gab die Nummer des Meteora ein. „Würden Sie mich bitte mit Herrn Stefan Hardenberg verbinden?“ fragte sie in korrektem Englisch. Der Portier verstand und verband sie. Natascha atmete tief durch. Dann meldete sich Hardenbergs Stimme. Ruhig sagte sie: „Ich bin’s, Natascha! Willst Du runterkommen oder soll ich raufkommen?“ „Wenn es Dir nichts ausmacht, Natascha, komm rauf! Zimmer Nummer 321!“ „Okay!“ Sie ging ins Hotel zum Lift. „Zimmer 321!“ sagte sie zum Boy. „Stefan Hardenberg!“ grinste der Boy und fuhr sie in den dritten Stock. Natascha rieb sich die Hände, sie waren kalt kalt vor Aufregung. Hardenberg stand in der geöffneten Tür, als sie aus dem Lift trat. Über sein Gesicht glitt einen Moment lang ein Leuchten, als er ihr entgegen ging. „Wie schön, Natascha, Dich wiederzusehen!“ Ohne zu zögern, nahm er sie in die Arme und sie ließ es geschehen. „Komm herein!“ In den Wohnräumen hatte er alles so gelassen, wie es war. Er wollte keine falschen Tatsachen mehr vorspiegeln. Sie setzte sich in einen der Sessel und er nahm ihr gegenüber Platz. „Ich glaube, ich habe Dir alles im Brief erzählt. Wie es um meine Gefühle für Dich steht und dass ich mehreren Jahren Witwer bin. Ich habe alles vor Dir offengelegt, Natascha…,“ seine Stimme brach und er, der bisher keinen Blick von ihr gewandt hatte, schaute nun aus dem Fenster. „Gib mir, gib uns noch eine zweite Chance!“ flüsterte er heiser. Eine Weile war es still im Raum. Hardenberg sagte nichts. Er wagte nicht Natascha anzusehen. Endlich kam Bewegung in sie. Sie stand langsam auf und kam zu ihm herüber. Er hielt den Atem an und schaute in ihr mit einem Mal so nahes Gesicht. Plötzlich setzte sie sich auf seinen Schoß und schlug die Arme um ihn. „Ja, Stefan, von ganzem Herzen Ja!“ Überglücklich zog er sie in seine Arme und küsste sie und er wusste, sein Leben mit ihr würde das Glück auf Erden werden.
Ende